Laudatio von Heinz Peter Lohse auf die Gewinnerin des zweiten Preises

P1050743Sehr geehrte Damen und Herren,

Göttingen und die Universität - dieses Paar hat sich in den vergangenen 275 Jahren zu beiderseitigem Wohl entwickelt. Göttingen ohne Uni? Stellen Sie es sich vor: Ein Städtchen an der Leine, sicher ganz reizvoll. Aber sonst? Etwas würde fehlen. Die Universität ohne Göttingen? Vielleicht hätte sie das Schicksal einer anderen Universität, gar nicht weit von hier, der Academia Julia Carolina, geteilt. In Gandersheim als Pädagogium Illustre gegründet, war sie 1576 - fast 160 Jahre vor Einrichtung der Göttinger Universität - nach Helmstedt verlegt worden. Sie entwickelte sich mit rund 500 Studenten jährlich schnell zur drittgrößten Uni in Deutschland. 1810 wurde sie allerdings geschlossen, auch weil in Göttingen große Konkurrenz entstanden war.

Nun - die Georgia Augusta wäre ohne Göttingen sicher eine andere. Universität und Stadt haben schon immer voneinander profitiert. Ein schönes Beispiel dafür sind die Göttinger Kupfer. Wie hier andere Berufszweige - die Kupferstecher und Drucker - und nicht zuletzt auch die Stadt Göttingen durch eine Mode unter Studenten bekannt werden, daran erinnert die Geschichte „Der Freundschaft ein Denkmal gesetzt“ von Claudia Krell. Veröffentlicht wurde die Geschichte im Magazin Faktor, in der ersten Ausgabe des vergangenen Jahres.

Frau Krell erinnert an einen - ich zitiere - „über 50 Jahre lang florierenden Markt, der von 1785 bis etwa 1835 fester Teil des akademischen Lebens war.“ Zitat Ende. Damals war es unter Studenten „in“, ein Stamm- oder Freundschaftsbuch, ein so genanntes Liber Amicorum, zu führen. Freundschaftsbücher, das waren so etwas wie studentische Poesiealben. Und mit den Einträgen in Poesiealben ist es ja so eine Sache: nicht immer einfach, etwas Sinnstiftendes zu schreiben. Und mitunter war es den Eigentümern der Stammbücher wohl auch nicht recht, dass jeder, der um einen Beitrag gebeten wurde, auch alle anderen Eintragungen lesen konnte.

Einerseits das Bestreben der individuellen Gestaltung. Dieses förderte das Entstehen der kleinen Gebrauchsgrafiken, die man in die Freundschaftsbücher integrieren und mit persönlichen Anmerkungen ergänzen konnte. Andererseits der Wunsch nach einer gewissen Intimsphäre. Da war es fast zwangsläufig, dass sich die anfangs fest gebundenen Freundschaftsbücher zu Lose-Blatt-Sammlungen im Schuber entwickelten. Der Idee der Stammbuchkupfer war das nur förderlich. Konnte man jetzt doch nach Belieben das Büchlein ergänzen und ein Bild hinzufügen.

Dass mit diesen Gebrauchsgrafiken Geld zu verdienen ist, erkannten alsbald einige Göttinger Kupferstecher und Buchbinder. Anfangs waren die Bildchen aufwendig gestaltet, hatten eine große Originalität und zeigten überwiegend Motive des studentischen Lebens. Szenen, die unter Studenten gefragt waren, so schildert es Claudia Krell: den Botanischen Garten, Festlichkeiten in Mariaspring, die Sternwarte, sonstige besondere Häuser oder beliebte Straßen oder aber Ansichten der Stadt.

Mit steigender Nachfrage kamen andere Motive hinzu: allegorische Abbildungen, Sagenbilder, ferne Reiseziele und christliche Motive. Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, gingen die Kupferstecher mit der Produktion in Serie. Statt der aufwendig herzustellenden Stiche verlegte man sich auf Radierungen, immer öfter wurden die Motive kopiert. Die Bezeichnung „Kupfer“, die ja auf einen Kupferstich hindeutete, war also nicht ganz korrekt. Nicht nur mit dem namen, auch mit den Inhalten verfuhr man großzügig - sie wurden geschönt, wenn es der Zeitgeschmack so wollte.

Die Auflage der Bilder stieg beständig. Stiche aus Göttingen waren auch in anderen Universitätsstädten Deutschlands gefragt und wurden sogar exportiert. Doch wie es mit Moden so ist: Sie kommen und gehen. Je mehr die Stiche aus Göttingen verbreitet wurden, desto mehr verloren offensichtlich die Studenten das Interesse daran. Irgendwann war es einfach nicht mehr angesagt, sich in mehr oder weniger geistreichen Zeilen freundschaftlicher Zuneigung zu versichern.

Freundschaftsbücher gerieten jedenfalls aus der Mode und in Vergessenheit. Bis sie Gegenstand historischer Forschung wurden. Oder aus gegebenem Anlass an sie erinnert

wird. Der Anlass für Frau Krell waren einerseits die Feierlichkeiten zum 275jährigen Bestehen der Universität im vergangenen Jahr, andererseits die aktuelle Forschung. Stammbuchkupfer werden heute gesammelt und durch die SUB der Öffentlichkeit zugänglich macht. So kann man inzwischen schöne Beispiele im Internet-Portal „Kulturerbe Niedersachsen“ anschauen.

Die Jury der Alexander-Stiftung würdigt die Geschichte „Der Freundschaft ein Denkmal gesetzt“ von Claudia Krell mit einem Preis. Frau Krell hat diese Geschichte mit einer kurzen Einführung über das Festjahr der Uni, „Exzellent seit 1737“, und dem Bezug zur aktuellen Forschung, „Für die Zukunft bewahrt“, zu einer kleinen Trilogie der Göttinger Universitäts- und Stadtgeschichte verwoben.