Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden

Laudatio von Heinz Peter Lohse zum 3. Preis an Laura Vele

2015 02 07 Alexanderpreis 16Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen. Sie haben sicher schon von diesen kleinen Modell-Flugzeugen gehört. Sie werden heute auch als Drohnen bezeichnet. Man versteht darunter unbemannte Fluggeräte oder auch  Fahrzeuge. Diese kleinen Dinger können vieles sein: Spielzeug - Arbeitsgerät - Waffe.

Eine der führenden Firmen für die Herstellung dieser Drohnen wurde 2007 von vier Studenten als Start-up gegründet. Die vier waren mit ihrem Hobby bei „Jugend forscht“ erfolgreich gewesen. Als Schüler waren sie neugierig. Und sie  wollten spielen, Spaß haben. Sie bastelten einen Modellhubschrauber, der sich fernsteuern ließ. Ein tolles Ding. Statt einem Rotor hatte er gleich vier - also einen Quadrocopter. Sie haben ihr Hobby zum Beruf gemacht, geforscht und  ihr „Spielzeug“ unermüdlich weiter entwickelt. Ihre Firma hat heute mehrere Angestellte und produziert jährlich einige hundert Minidrohnen.

Keine Spielgeräte mehr, sondern Hightech für Firmen und Universitäten. Ausgestattet mit professionellen Kameras, GPS und Autopilot oder von einer Bodenstation aus zu steuern. Minidrohnen, immer für zivile Verwendungszwecke.  Keine Kampfdrohnen.

Ziviler Einsatz auf der einen, militärischer auf der anderen Seite. Wenn die Drohnen für Luftaufnahmen, Vermessungsflüge, Gelände- oder Anlagenüberwachung oder Transporte im zivilen Bereich eingesetzt werden, sind sie durchaus  nutzbringend. Aber sie sind auch nur einen Schritt von anderen Nutzungsmöglichkeiten entfernt. Wenn sie im militärischen Einsatz Sprengstoffe transportieren, können die Folgen verheerend sein. Für den einen Zweck wurde etwas  gebaut und wird dann für einen ganz anderen eingesetzt. Viele Dinge haben diese Eigenschaft. Denken Sie an Messer oder eine ganz simple Nähnadel.

Im modernen Sprachgebrauch gibt es dafür den den Begriff „Dual-Use“. „Multiple Use“ wäre ebenso gerechtfertigt.

Laura Vele weist in ihrem Beitrag „Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden“ auf dieses Problem hin. Für viele Wissenschaftler ist das ein Konflikt. Darf man grundlegend forschen und dabei alle späteren Verwendungsmöglichkeiten  ausklammern? Anlass für den Beitrag im regio-Magazin vom Januar 2014 war ein großes Echo in den Medien. Kurz vor Weihnachten 2013 wurde bekannt, dass das amerikanische Verteidigungsministerium auch an deutschen  Hochschulen und Instituten Militärforschung mit hohen Geldbeträgen gefördert hat.

Ohne Geld geht es nicht, „ohne Moos nichts los“. Auch Universitäten benötigen Geld. Und selbstverständlich auch die Wissenschaftler, die in den Universitäten forschen und lehren. Das würde niemand ernsthaft bestreiten. Aber…

Frau Vele verweist auf den häufig doppelten Verwendungszweck von Forschungsergebnissen. Was für eine friedliche Nutzung entwickelt wurde, kann auch in Kriegen eingesetzt werden. Sie fragt: Kann ausgeschlossen werden, dass  Forschungsergebnisse militärisch genutzt werden? Und gibt gleich die Antwort: Kaum. Das lehrt uns die Vergangenheit.

Vorkehrungen, mit denen sich immer mehr Hochschulen schützen wollen, greifen nicht: zum Beispiel die sogenannte Zivilschutzklausel. Häufig wird sie umgangen. Zudem ist sie umstritten. Gegner der Klausel befürchten durch sie eine  Einschränkung ihrer Forschungsfreiheit.

Und: Wer lehnt Geld ab? fragt Frau Vele. Schließlich seien so genannte Drittmittel ja auch ein Indiz für wissenschaftliche Qualität. Und weiter: Wer kann schon die Folgen seiner Forschung endgültig abschätzen? Frau Vele schreibt weiter: Letztendlich ist es eine Frage der Verantwortung. Und die muss jeder Wissenschaftler für sich beantworten.

Sie zitiert Max Born, Physiker, Ehrenbürger der Stadt Göttingen und Nobelpreisträger. Er hat gesagt, „es gibt keine Forschung, die vom Leben völlig losgelöst ist“. Und er schrieb bereits 1958: „Im Betriebe der Wissenschaft und ihrer Ethik ist eine Wendung eingetreten, die es unmöglich macht, das alte Ideal des reinen, nur auf Erkenntnis abzielenden Forschens aufrechtzuerhalten.“

Born war an der Entwicklung der Quantenmechanik beteiligt. Dafür wurde er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Seine Schüler, allen voran Robert Oppenheimer, hatten an der Entwicklung der Atombombe mitgearbeitet. Max Born habe  sich Vorwürfe gemacht, dass er in seiner Lehre nicht ausreichend auf das „Bewusstsein der Verantwortung des Naturforschers“ eingegangen sei, schreibt Frau Vele in ihrem Beitrag.

1957 - das war 12 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima - war Max Born einer der achtzehn Professoren, die die so genannte „Göttinger Erklärung“ veröffentlichten: Sie wandten sich gegen eine geplante atomare  Bewaffnung der Bundeswehr. Die wäre ohne Grundlagenforschung an den Hochschulen nicht möglich gewesen; sie war aber niemals das Ziel zurückliegender Grundlagenforschung.

Frau Vele verweist auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen: den Klimawandel, auf die weiterhin bestehende atomare Bedrohung. Laura Vele hat ein historisches Thema aufgegriffen, das - leider - immer wieder aus dem  öffentlichen Focus verschwindet, das aber brandaktuell ist. Nämlich die Frage nach der Verantwortung für das eigene Handeln.

Ein Thema, für das es offensichtlich keine Patentlösung gibt. Die Öffentlichkeit vertraut den Wissenschaftlern, den Experten. Sie ist auf das Urteil der Fachleute angewiesen. Bei der Komplexität der Themen bleibt oft keine Wahl.

„Die Wissenschaft darf den Kriegsleuten nicht dienen“, zitiert Frau Vele abschließend Gustav Born, den Sohn Max Borns. Er sagt : „Die Verantwortung, die wir als Wissenschaftler in den jeweiligen Bereichen tragen, ist von  unermesslicher Wichtigkeit…“

Die Jury der Alexanderstiftung hat diesem Beitrag von Frau Vele einen dritten Preis zuerkannt.