Dreimal belagert – zweimal erobert. Göttingen im 30-jährigen Krieg

Laudatio von Sybille Bertram für den Preisträger Hendrik Kalvelage

Guten Tag – vielen Dank – ich darf Ihnen einen weiteren Preisträger vorstellen.

Alexanderpreis2019 53Der hat etwas geschafft, was wir Journalistinnen und Journalisten uns immer wünschen: Dass möglichste viele Leute unsere Texte lesen – nicht nur die, die sich schon immer für das Thema interessiert haben, sondern auch die, die es erstmal nicht so interessiert.

Und die sollen wir dann ja abholen, heißt es immer so schön. Eine Floskel, die Sie vermutlich schon nicht mehr hören können – die Leute da abholen, wo sie stehen…. In diesem Fall aber können wir die Floskel wörtlich nehmen: Der Autor Hendrik Kalvelage holt die Leserinnen und Leser an einer Bushaltestelle ab und fährt mit ihnen mitten in den 30jährigen Krieg.

Diese Bushaltestelle liegt in einem idyllischen Göttinger Wohngebiet: Schmucke Reihenhäuser - Kinderspielplatz – eine friedliche Idylle. Genauso beschreibt sie Hendrik Kalvelage. Dass hier vor 400 Jahren ein brutaler Krieg tobte, darauf verweist heute nur noch ein Straßenname und der Name eben jener Bushaltestelle, mit der der Autor seinen Artikel auch bebildert – die Bushaltestelle „An der Tillyschanze“. Graf Tilly, einer der Heerführer des Dreißigjährigen Krieges, hatte Göttingen 1626 unter Beschuss genommen. In den Höhenlagen errichteten seine Truppen Erdwälle als Befestigungsanlagen – so genannte Schanzen – daher der Name.

An der besagten Bushaltestelle hält übrigens die Linie 91/92 – und mit der kann man nicht nur eine herrliche Stadtrundfahrt machen – die fährt auch zum Städtischen Museum am Ritterplan. Und genau dahin nimmt uns Hendrik Kavelage mit. Er beschränkt sich also nicht darauf, die Stadtchronik zu referieren oder einen Wikipedia- Artikel aufzuhübschen. Er trifft sich mit Experten. Er spricht mit dem Stadtarchivar Ernst Böhme, er spricht mit der Museumskuratorin Andrea Rechenberg.

Das verleiht dem Beitrag Tiefe, und es macht ihn lebendig. Rechenberg und Böhme erläutern ihm ein Gemälde, das im Städtische Museum hängt – und das ich mir beim nächsten Mal genauer ansehe werde – Sie vielleicht auch? Es zeigt die Belagerung Göttingens im 30jährigen Krieg und Hendrik Kalvelage schildert, was er sieht:

„Kanonen speien Feuer, Truppen rücken gegen die Stadtmauer vor, Musketiere schießen aus Schützengräben, umliegende Dörfer wie Nikolausberg und Weende gehen in Flammen auf.“ Im Vordergrund des Bildes beobachtet ein Reiter das Geschehen. Andrea Rechenberg vermutet, dass er Tilly darstellen soll.

Insgesamt wurde Göttingen dreimal belagert – zweimal erobert – das ist übrigens auch die Überschrift des Beitrags. Am Ende des Krieges ist ein Drittel der Häuser zerstört. Die Hälfte der Einwohner ist nicht mehr da – getötet, verhungert, vertrieben.

Auf heute bezogen hieße das, Göttingen hätte nicht mehr 130.000, sondern nur noch 65.000 Einwohner, erläutert der Stadtarchivar die Dimension. Es dauert lange, bis Göttingen sich davon erholt. Und wofür das ganze Leid?“, fragt der Autor den Archivar, und der antwortet: „Religiös und politisch steht Göttingen nach dem Krieg genauso da wie vorher. Der Krieg hat daran nichts geändert.“

Dieser Beitrag von Hendrik Kalvelage – mit dem Titel „Dreimal belagert – zweimal erobert – 400 Jahre nach dem Ausbruch dem 30jährigen Kriegs sind Spuren in Göttingen noch heute zu sehen“ erschienen im Extra Tipp am 8.September 2018 - dieser Beitrag hat die komplette Jury sehr beeindruckt:

+ Der Wechsel zwischen Historie und Gegenwart – die kompakte Darstellung eines komplexen Sachverhalts, der Mix aus Beschreibung und Analyse.

+ Das Ganze nicht akademisch, sondern journalistisch geschrieben, sprachlich und stilistisch auf hohem Niveau.

+ Der Autor schafft damit genau das, was Wolfgang Alexander sich wünscht. Und er erfüllt sogar ein weiteres Alexander-Kriterium: Er passt auf eine Zeitungsseite. Das muss man mit dem 30jähigen Krieg erstmal hinbekommen!

Ich freue mich sehr, dass die Alexander-Stiftung den Autor Hendrik Kalvelage für diesen Beitrag auszeichnet und ihm dafür den 2. Preis verleiht!

Lieber Hendrik Kalvelage, Herzlichen Glückwusch!