ALEXANDERPREIS 2017 Platz 3 - Als die Hannoveraner Preußen wurden

Schlacht von Langensalza: Vor 150 Jahren lagert König Georg V. mit seinen Truppen in und um Göttingen

Lärm, Lärm, anwachsender Lärm erfüllte Göttingen Mitte Juni 1866, als die Stadt zum Sammelort der hannoverschen Armee wurde. Die 15000 Einwohner der Ackerbürgerstadt, die noch nicht über den Wall hinaus gewachsen war, erhielten einen Zuwachs um etwa 17000 Soldaten, die stündlich in Göttingen eintrafen: mit der hannoverschen Eisenbahn, aber auch in Massen zu Fuß. Sie mussten erfasst, ihren Einheiten zugeordnet und einquartiert werden. Nahezu jedes Dorf des Landkreises wurde Soldatenquartier, auch die angrenzenden Gemeinden der Landkreise Münden und Northeim wurden belegt: Die Garde-Regimenter lagen in Holtensen, Lenglern, Elliehausen. Wibbecke und Erbsen. Barterode und Esebeck beherbergten das Königin Husaren Regiment. Die Cambridge Dragoner nahmen Quartier in Harste und Gladebeck. In Bovenden, Eddigehausen, Parensen, Angerstein und Wolbrechtshausen lag Infanterie, auch im Südkreis Göttingen mit Niedernjesa, Obernjesa, Stockhausen, Sieboldshausen, ein Jäger-Bataillon in Rosdorf. In Ortsteilen der heutigen Gemeinde Rosdorf stand die Reserve-Kavallerie mit dem Garde du Corps und den Garde-Kürassieren. Das Untergericht des Landkreises Münden um Dransfeld war mit Infanterieregimentern und Garde-Husaren belegt. Grone und Weende nahmen die Artillerie auf. Neben den Soldaten waren Tausende von Pferden zu versorgen.

Göttingen stand für wenige Tage im Zentrum deutscher, ja europäischer Politik

Vom 16. bis 21. Juni residierte dann Georg V., König von Hannover, mit Regierung und Generalstab im Hotel zur Krone in der heutigen Weender Straße (Sparkasse). Was war geschehen, dass Göttingen für wenige Tage zu einem Zentrum deutscher, ja europäischer Politik und zur Regierungszentrale wurde? Die ungelöste "Schleswig-holsteinische Frage". Nachdem sie in den letzten Jahrzehnten europäische Konferenzen bewegt, 1864 zum Krieg zwischen Dänemark und den Vertretern des Deutschen Bundes geführt hatte, stritten Österreich und Preußen über eine Lösung. Preußen und Österreich stritten über die Zukunft von Schleswig und Holstein. Preußen strebte die Annexion an. Die Mehrheit der Staaten unterstützte die preußische Position, auf keinen Fall wollten sie gegen Preußen kämpfen.
Von den größeren Staaten standen Hannover, Sachsen, Hessen-Darmstadt, Nassau, Kurhessen, Württemberg und Bayern auf österreichischer Seite, was die strategische Position Hannovers im Norden von Anfang an schwierig machte. Als der Konflikt im Mai 1866 auf eine militärische Lösung zulief, befand sich die hannoversche Armee zwar in Vorbereitung auf das Sommermanöver, aber faktisch war sie unorganisiert. Ihre Ausrüstung war vernachlässigt und zahlenmäßig war sie Preußen deutlich unterlegen, zudem rückten preußische Armeen von Norden, von Westen und von Osten vor, sodass nur das Ausweichen nach Süden blieb. Die Bahn brachte große Teile der Truppen nach Göttingen, aber Tausende mussten marschieren; um den Preußen zu entgehen. Göttingen bot nur für kurze Zeit Ruhe, denn preußische Truppen waren von Westen bis Kassel vorgedrungen und ihre Aufklärer sichtete man' im Werratal. Es war also Eile geboten, die Armee zu ordnen und kampffähig aufzustellen, bevor sie bei Göttingen eingeschlossen werden konnte. Auf eine Schlacht bei Göttingen stellte sich das preußische Oberkommando ein.
Wenn der hannoversche König mit seiner Armee einer Einkesselung durch überlegene preußische Kontingente entkommen wollte, blieb nur der Weg über Thüringen nach Süden, um mit den Bayern und den Kurhessen gemeinsam gegen Preußen zu stehen. Also brach Hannovers Armee am 21. Juni nach Thüringen auf. Ausmarsch über Geismar durch das Bremker Tal in Richtung Heiligenstadt. Kurz hinter Geismar soll Georg V. den Vormarsch von Truppenteilen abgenommen haben. Seit 1865 befand sich dort ein Gedenkstein an die Teilnahme hannoverscher Truppen an der Schlacht bei Waterloo 1815.
In Tagesmärschen bis zu 12 Stunden erreichte man Heiligenstadt, Mühlhausen und schließlich Langensalza. Nach Ankunft in der thüringischen Ebene wurde die schwierige Lage der hannoverschen Armee deutlich. Es gab kein zurück, denn die preußischen Truppen hatten fast Göttingen erreicht, ein Anschluss an die kurhessische Armee war nicht mehr möglich, weil die Preußen von Westen längst bei Eisenach standen. Die Kurhessen waren den Kampf meidend nach Süden abgezogen. Von Osten rückte eine preußische Armee heran. Nur der Weitermarsch nach Süden und die Vereinigung mit der bayerischen Armee wären noch möglich gewesen, doch die Bayern verweigerten den Vormarsch nach Norden und verharrten in Schweinfurt. Hannovers Rufe um Unterstützung blieben ungehört.
Hannovers Armee hätte preußische Angebote auf Kapitulation annehmen können, doch dieses widersprach dem Ehrbegriff des Königs und seiner Offiziere. Wer bei Waterloo nicht gewichen war, wollte jetzt nicht aufgeben.
Probleme bei der Nachrichtenübermittlung bei der Schlacht bei Langensalza
Der Ablauf der Schlacht bei Langensalza am 27. Juni war von zahlreichen Problemen bei der Nachrichtenübermittlung bestimmt. Jedenfalls konnten die Hannoveraner ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht voll ausspielen. Zugunsten der Preußen wirkten ihre modernen Waffen, während die hannoversche Infanterie noch mit Vorderladern schoss. Hannovers Artillerie besaß 42 Geschütze, die aber im Feuer den 22 preußischen Geschützen nicht überlegen waren. Am späten Nachmittag zogen sich die preußischen Truppen zurück und ihre Infanterie konnte die Angriffe der schweren Kavallerie abwehren, die hohe Verluste erlitt. Zu weiterer Verfolgung war die hannoversche Armee nicht in der Lage. Nach den schweren Tagesmärschen, nach Hitze, Wasser-und Verpflegungsmangel unterband Erschöpfung das Nutzen eines teuer erkauften Sieges.

Die Kapitulation am 28. Juni wurde ehrenvoll abgewickelt, der König konnte mit Geleit das Schlachtfeld verlassen

Am Morgen des 28. Juni erklärte deshalb die hannoversche Generalität Georg V., dass eine Fortsetzung des Feldzuges nicht möglich sei. Eine Kapitulation wurde empfohlen, weiterer „Kampf und Widerstand für ein gänzlich erfolgloses Blutvergießen (ge)halten“. Die Kapitulation wurde ehrenvoll abgewickelt. Georg V. konnte mit Gefolge das Schlachtfeld verlassen. Er entband die hannoverschen Soldaten von ihrem Eid und Preußen entließ die Soldaten auf Ehrenwort in die Heimat. Sie mussten sich verpflichten, nicht gegen Preußen zu kämpfen. Den Offizieren wurde weiteres Gehalt zugesagt.
Der weitere Kriegsverlauf endete mit dem Sieg der Preußen über Österreich bei Königgrätz am 3. Juli. Unter französischer und russischer Beteiligung schlossen Preußen und Österreich in Prag Frieden. Auch mit den süddeutschen Staaten kam es zum Friedensschluss, ebenfalls mit Sachsen, das ohne Gebietsverluste blieb. Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt und Sachsen zahlten Kriegsentschädigungen. Preußen annektierte Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Der Deutsche Bund war aufgelöst und Preußen startete mit dem Norddeutschen Bund, zu dessen Parlament 1867 erstmals gewählt wurde, seine Politik, die zur Reichseinheit 1871 führte. Die verschiedenen Friedensverträge beendeten nicht den Streit über die Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen. Georg V war nicht zum Thronverzicht bereit und die angebotenen Entschädigungen fanden ebenfalls nicht seine Zustimmung, sodass sie über Jahrzehnte offen blieben. Das Königshaus musste deshalb nicht darben, denn es hatte rechtzeitig Vermögen außer Landes geschafft. Bei ihren britischen Verwandten deponierten sie 19 Millionen Taler. Die preußische Regierung blockierte das verbliebene Vermögen und Bismarck finanzierte daraus subversive Aktionen. Als "Reptilienfonds" ging dieser Kampffonds in die politische Geschichte ein.
Schwierig blieb für Preußen die Stimmung in der neuen Provinz Hannover. Der Widerstand des Königshauses stärkte die antipreußischen Aktionen, und die Bildung einer "Welfischen Legion" zeigte Preußen die Möglichkeit einer erneuten militärischen Auseinandersetzung. Zur Beobachtung der welfischen Opposition wurde deshalb das „Zentral-Nachrichten-Bureau“ eingerichtet -ein Vorläufer des Verfassungsschutzes.
Und vielerorts in der neuen preußischen Provinz, regte sich bald eine Gedenkkultur. Denkmäler, Gedenksteine wollten di welfentreuen Bürger errichten der Tapferkeit und dem Heldentod der hannoverschen Soldaten sollte gedacht werden. Auch in Göttingen. Eine private Sammlung brachte das Geld zusammen, sodass 1869 das Monument vor dem Wall errichtet werden konnte. Es wird der Gefallenen oder später ihren Wunden erlegenen Soldaten des Aushebungsdistrikts Göttingen gedacht. Vier Namen werden genannt, darunter 4 Offiziere und 2 Korporale: Gefallene kamen aus Göttingen ebenso viel aus Sattenhausen. Die vielfachen Spannungen um die Langensalza -Monumente führten in Göttingen dazu, dass Reliefporträts des Königspaares VOI der Polizei entfernt wurden.
Die offene „welfische Frage mobilisierte noch lange: Der welfentreue Landadel, der durch die Annexion Privilegien verloren hatte, hielt zum Königshaus Auch der Wahlkreis Göttingen Münden war meist in welfischer Hand. Im Landkreis Göttingen repräsentierten die Familien von Adelebsen, von Olenhusen und von Wangenheim die welfische Sache. Erst 1912 gewann der Nationalliberale Gustav Ickler der Wahlkreis.

Neben CDU und FDP war kein Platz mehr für eine konservative Partei mit welfischer Traditionspflege

Auch in der Weimarer Republik, als nicht an die Wiederherstellung des Königreichs zu denken war, blieb die Welfenparte erhalten und schaffte unter den Verhältniswahlrecht drei bis vier Mandate. Der Wahlsieg der NSDAP 1932 ließ sie aus den Reichstag verschwinden. Unter den Neugründungen 1945/46 erschien als "Deutsche Partei" (DP eine Gruppierung im neuen Land Niedersachsen, die an die Welfenpartei anknüpfte. Doch für eine konservative Partei mit welfischer Traditionspflege war neben CDU und FDP kein Platz, 1960 traten die Reste der DP Landtagsfraktion unter dem vor allem als Kultusminister bekannten Richard Langeheine in die CDU über. Andernorts gingen die DP'ler zur FDP: in Göttingen der Namensvetter Arthur Langeheine, der für die DP im Göttinger Rat saß; im Landkreis wechselte von Olenhusen ebenfalls zur FDP.