Jörn Barke wurde von der Alexanderstiftung bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt gewann er 2008 den ersten Preis.

Herr Barke, Redakteur beim Göttinger Tageblatt, hat am 11. Juli 2009 im GT die Geschichte „Das ferne Haus des Vaters“ veröffentlicht.

Gemeinsam mit seinem Vater ist er nach Amthal in der Nähe von Thorn gereist, um das Geburtshaus des Vaters aufzusuchen. Es ist eine Reisereportage einerseits - es ist aber auch eine Familiengeschichte. Und eine Heimatgeschichte.

Was ist das eigentlich? Heimat!

Ist es Heimstatt? Heimatstadt? Heimathafen? Ein Ort? Ein Gefühl?

Ist es - im Zeitalter des Internet - eine Webadresse: my.heimat.de?

Ist Heimat eine Frage des Alters? Der inneren Einstellung? Ist Heimat ein Wert?

Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, der Wertewandel scheint ein uns ständig begleitender Prozess zu werden.

Und wir wissen immer noch nicht genau, ob wir die globale Krise auf den Finanzmärkten überstanden haben oder ob das dicke Ende uns noch bevorsteht.

Erleben wir durch die Globalisierung vielleicht gerade den Verlust unserer Heimat? Sind die nächsten Generation in der ganzen Welt zuhause?

Fragen.

Heimat ist sicher ein geografischer Ort. Heimat ist aber auch ein Gefühl. Heimat ist Erinnerung: Geruch, Geräusche, Laute, Geschmack, Gewohnheiten, Bräuche. Und vielleicht ist Heimat auch das:

„A German Dream“ wie ein englisches Buch titelt, dass sich mit dem Phänomen Heimat auseinander setzt. Es gibt im Englischen nämlich keinen adäquaten Begriff.

Eine weitere Frage: Können wir Heimat erst definieren, wenn wir sie verloren haben? Bekommt sie erst dann Konturen - und Bedeutung?

Sie Herr Barke, erzählen die Geschichte Ihrer Familie. Es ist ein Schicksal, das es vor mehr als 60 Jahren so oder in ähnlicher Form millionenfach in Deutschland gegeben hat. Und das es in anderen Ländern auch heute noch millionenfach gibt.

Die Geschichte Ihrer Familie beginnt mit der Vertreibung Ihrer Eltern und sie wird durch eine Reise zum Geburtshaus Ihres Vaters plötzlich gegenwärtig.

Sie machen keine Vorwürfe, stellen keine Forderungen auf, rechnen nicht ab. Sie vergleichen. Und Sie erinnern sich.

Sie vergleichen die Situation Ihre Kinder mit der Ihrer Eltern - so wie Sie sie aus den Gesprächen mit den Eltern erinnern. Ihre Kinder wachsen auf wie viele Kinder heute, in einer friedlichen Welt, behütet, in relativem Wohlstand.

Die Eltern des Autors mussten im selben Alter ihre Heimat verlassen. Sie flohen vor mehr als 60 Jahren mit ihrer Mutter und dem bisschen, was sie tragen konnten. Und selbst das wurde ihnen genommen.

Sie, Herr Barke, erinnern sich, dass die Kindheit Ihrer Eltern in Ihrer eigenen Kindheit nie wirklich ein Thema war. Flucht, Vertreibung, Verlust der Heimat - das war eben der Preis, den die Generation der Eltern für einen von Deutschland angezettelten Krieg zu zahlen hatte.

Doch die Eltern sind nicht verantwortlich zu machen. Am Ende des Krieges waren sie selbst Kinder. Trotzdem trugen sie an der Schuld und an ihrem persönlichen Leid. Sie mussten mit den Folgen leben.

Der Autor vergleicht aber auch die Situation von Vertriebenen mit denen, die ihre Heimat nicht verloren. Er schildert die Schwierigkeiten, die jemand hat, der eine neue Heimat sucht.

Sie schildern darüber hinaus die Vorbehalte und das Misstrauen bei denen, die heute in der alten Heimat Ihrer Eltern ein Zuhause gefunden haben.

Und Sie schildern, wie die nächsten Generationen mit dem Thema umgehen. Dass Freundschaft und Liebe allmählich die alten Gräben überbrücken, auch wenn immer noch wieder Befangenheit im Umgang miteinander auftritt.

Sie haben haben mit Ihrer Geschichte ein Thema aufgegriffen, dass gerade in Deutschland noch immer kein einfaches ist: Heimat.

Und der Verlust der Heimat. Weder bei denen, die in ihrer Heimat leben. Noch bei denen, die ihre Heimat verloren und - vielleicht - hier oder irgendwo eine neue gefunden haben. Oder finden wollen.

Sie haben eine sehr persönliche Geschichte geschrieben. Eine Geschichte, die aber so oder ganz ähnlich auch für viele Göttinger geschrieben sein könnte. Oder für viele Braunschweiger oder Berliner. Eben für alle, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen mussten.

Begründung der Jury:

Sehr gut erzählt. Die Ich-Form ist hier vorteilhaft eingesetzt, der Autor erreicht dadurch eine hohe Glaubwürdigkeit. Er erzeugt große Nähe und macht betroffen.

Gekonnt spannt der Autor immer wieder den Bogen von der Geschichte zur Gegenwart und zurück. Und er zeigt, dass es Verbindungen zwischen persönlicher und allgemeiner Betroffenheit gibt.

Darüber hinaus ist es ihm gelungen, ein handwerklich beispielhaftes Stück abzuliefern: Überschrift, Bild(er) und Text bilden eine Einheit.

Und nicht zuletzt gelang ihm - ohne dass er es direkt anspricht - ein unaufgeregter aber eindringlicher Appell gegen Krieg.

Die Jury hat dieser Geschichte mit Abstand die meisten Punkte gegeben. Sie war sich einig, dass der Beitrag von Jörn Barke unter den guten Einsendungen für den Alexander-Preis 2009 der beste ist und erkennt ihm den ersten Preis zu.

zum Artikel von Jörn Barke