Wolfgang Alexander, der Stifter dieses Preises, hat festgelegt: „Zweck der Stiftung ist die Erforschung der Vergangenheit der Stadt Göttingen und ihres Umfeldes.“ Vergessene oder vernachlässigte Themen aus der Geschichte Göttingens und seiner Umgebung sollen öffentlich gemacht und damit der Vergessenheit entrissen werden.

Dieses Vorhaben wollte Alexander insbesondere durch eine jährliche Preisverleihung für eine Veröffentlichung in einer Zeitung oder Zeitschrift fördern. Und er bestimmte weiter, dass es keine schweren Fachartikel sein sollen, sondern das sie „betont journalistisch“ geschrieben sind. Wolfgang Alexander verstand darunter

- wahrheitsgetreu,
- aktuell dadurch, dass fast vergessene und bisher übersehene Themen aufgegriffen werden und
- dass sie allgemeinverständlich geschrieben sind.

Zudem wusste Alexander sehr wohl um das kostbarste Gut seiner Leserinnen und Leser: die Zeit. So legte er fest, dass die Leser nicht zu lange lesen müssen sollten - die auszuzeichnende Arbeit soll darum „in der Länge nach Möglichkeit eine Zeitungsseite nicht überschreiten“. Gerade diese zuletzt genannte Verpflichtung zur Kürze kann Journalisten manchmal zur Verzweiflung bringen - wenn sie so viele Fakten zusammengetragen haben und eigentlich viel mehr Platz benötigten, um diese endlich zu Papier bringen.

Mit seiner Reportage„Die Zentrale des Wahnsinns - auf Karl May bezogen“, veröffentlicht am 13. Februar 2010 im Göttinger Tageblatt, hat Erik Westermann das Kriterium der Länge gemeistert: Exakt eine Zeitungsseite. - Die volle Punktzahl gibt es dafür.

Doch damit nicht genug. Der Artikel genügt nach Meinung der Jury auch den weiteren Anforderungen. Erik Westermann hat einen Schatz in Göttingen gehoben - genauer im Groner Gewerbepark. Zwar ist der nicht in Vergessenheit geraten, er war aber nur wenigen Kennern der Karl-May-Szene ein Begriff und ist nur einem kleinen Kreis von Mitgliedern zugänglich. Der breiten Öffentlichkeit ist der Zutritt zu dieser bemerkenswerten Sammlung bisher verwehrt. Westermann schildert in seiner Reportage, was diesen Schatz ausmacht und wer der „Schatzmeister“ ist.

Wir lesen, dass jener gewissermaßen ein Doppelleben führt. Einerseits geht er dem durchaus ehrenwerten Beruf des Schullehrers nach, er unterrichtet Latein an einem Göttinger Gymnasium. Andererseits muss er ein leidenschaftlicher Sammler und Forscher sein: Bücher, Fotos, kleine Figuren, vor allem aber Filme, Filmkleider, Filmrequisiten, Drehbücher, Plakate, Andenken, tausende von Fotos und Negativen hat er zusammengetragen - eben alles, was an Winnetou, Old Shatterhand und andere Helden Karl Mays erinnert.

Die Rede ist von dem Göttinger Michael Petzel, dem Geschäftsführer des Karl-May-Archivs im Groner Industriegebiet. Karl May, (1842 -) 1912 in Radebeul gestorben, war ein deutscher Volksschriftsteller. Bekannt wurde er vor allem durch seine Jugendbücher. Deren Auflage geht in die Millionen. Sie wurden in viele Sprachen übersetzt, erschienen in der Kunstsprache Volapük und in Blindenschrift. Sie wurden verfilmt, es gibt sie heute als Hörbücher und - selbstverständlich - als E-Books. Michael Petzel, so beschreibt es Erik Westermann, hat seinen Kinder- und Jugendtraum Wirklichkeit werden lassen. Als Zehnjähriger sei er von dem Virus Karl May infiziert worden: Mit dem Vater habe Petzel 1962 in der Prinzenstraße vor dem Capitol- Kino seinem ersten Karl-May-Film entgegengefiebert, dem „Schatz im Silbersee“. Seither hat es ihn nicht mehr losgelassen. Er hat recherchiert, die Darsteller der Filme aufgesucht, er hat gesammelt, Ausstellungen organisiert, Feste zelebriert und Gleichgesinnte zusammengebracht. Petzel hat Vorträge gehalten, Karl-May- Anhänger auf Reisen begleitet, Bücher über Karl-May-Filme verfasst.

Die Früchte seiner Arbeit lagern in Göttingen ein wenig im Verborgenen. Das mag daran liegen, dass der Lateinlehrer sich trotz aller Sammelleidenschaft nicht zu den fanatischen Karl-May- Anhängern zählt. Es mag aber auch an Petzels Einschätzung liegen, dass Old Shatterhand und Winnetou für die derzeitige jugendliche Generation ein wenig uncool seien. In einem Interview mit einem Fachjournalisten äußerte er vor zwei Jahren die Vermutung, Karl May komme heute nicht mehr so richtig rüber. Old Shatterhand, Winnetou und Kara Ben Nemsi, die Avatare von Karl May - sind sie in der Dekade der Simpsons, der Comedys, der Infotainment-Magazine und Spiele-Konsolen nicht mehr angesagt?

Erik Westermann hat mit seiner Geschichte im Göttinger Tageblatt die Tür zu der Petzel‘schen Sammlung ein wenig aufgestoßen. Er hat diejenigen, die das Archiv nicht besuchen dürfen, durch die geöffnete Tür spähen lassen und ihnen einen Blick auf einen Schatz im Groner Industriegebiet ermöglicht. Es wäre schön, wenn seine Geschichte dazu beiträgt, dass dieser Schatz nicht in Vergessenheit gerät.

Für seine Geschichte im Göttinger Tageblatt wird Erik Westermann mit dem Alexander-Preis ausgezeichnet.