„Sieh nach den Sternen, hab‘ acht auf die Gassen“

Ein Artikel von Eckhard Schimpf, erschienen in der Braunschweiger Zeitung am 5. Dezember 2009

Zeitungmachen wie früher, der Geruch nach Bleisatz und Druckerschwärze - ein Thema ganz nach meinem Geschmack. Der Macher: der Chefredakteur und Verleger Hans Eckensberger, 1897 in Leipzig geboren, 1966 nach einem bewegten Leben in Braunschweig gestorben. Gründer der ersten niedersächsischen Zeitung nach dem II. Weltkrieg. Der Autor: ein exzellenter Kenner der Zeitungslandschaft.

Eckhard Schimpf schildert Lebensweg und berufliche Karriere eines außergewöhnlichen Mannes. 1958 hat er bei der Braunschweiger Zeitung, der BZ, als junger Volontär angefangen und Hans Eckensberger über Jahre hinweg aus allernächster Nähe erleben können. Er erinnert sich (Zitat) „ an einen weltläufigen, eleganten Herrn, der Sinn für wirksame Effekte hatte und mit der Zeitung für die neue Demokratie eintrat. Weltoffenheit und Heimatverbundenheit waren ihm dabei kein Widerspruch“. (Zitat Ende)

Hans Eckensberger war Chefredakteur der Braunschweiger Neuesten Nachrichten, bis ihm 1934 unvorsichtige Äußerungen in vertrauter Runde zum Verhängnis geworden waren. Er hatte sich über Hitler lustig gemacht, ihn als „Witzfigur“ und „Schande für Deutschland“ tituliert, was ihm eine Gefängnisstrafe wegen „Verleumdung des Führers“ einbrachte. Da zudem seine Frau Margarete Jüdin war und schon 1933 ihr Engagement am Theater in Braunschweig hatte aufgeben müssen, blieb beiden nur der Rückzug in die Unauffälligkeit. In Eckensbergers Geburtsstadt Leipzig gelang dem Paar das Überleben dank Gottlieb Leonhardt, dem Seniorchef des damaligen Dresdener Presse-Imperiums. Obgleich an der Spitze dieses Konzerns sein Schwiegersohn, ein überzeugter Nationalsozialist, stand, gelang es Leonhardt, die Eheleute dem Zugriff der Gestapo zu entziehen.

Nach dem Krieg dann schlug Eckensbergers Stunde. Bereits im Juli 1945 sprach er bei der englischen Besatzungsmacht vor, um schließlich nach 5-monatigen Verhandlungen die begehrte Lizenz für die erste Nachkriegszeitung in Niedersachsen zu bekommen. In wenigen Jahren schaffte es der clevere Verleger und versierte Chefredakteur, die Auflage der Braunschweiger Zeitung bis auf 240 000 Exemplare zu steigern. Schimpf beschreibt diese schillernde Persönlichkeit so. (Zitat) „Wenn er im beigefarbenen Kaschmirmantel über das knarrende Parkett des alten, vom Krieg verschonten Pressehauses am Hutfiltern in sein Büro stürmte, dann wehte ein Duft von Chanel über den Flur. Erst nach einer ganzen Weile roch es wieder nach Bohnerwachs und Druckerschwärze. Verleger Hans Eckensberger liebte Luxus und Internationalität..... (Auslassung) Er kaufte den ersten Braunschweiger 300er-Adenauer-Mercedes und flog zu Churchills Pressekonferenz nach London. Er besaß ein Schloss an der Loire und ein Appartment in Paris. Er schwebte, wie es schien, auf einer Wolke leiser Verachtung über dem redaktionellen Tagesgeschäft.“ (Zitat Ende) Und doch, so Schimpf, war der Lokaljournalismus für Hans Eckensberger eine Herzensangelegenheit. Er wusste genau, welche Themen die Leserschaft interessierten, überraschte die Braunschweiger mit Aktionen wie Weihnachtsmann-Parade oder Seifenkisten-Rennen und stand voller Überzeugung hinter seiner Mannschaft. (Zitat) „Der Journalist ist der erste Mann im Haus. Anzeigen, Vertrieb, Technik – alles hat sich ihm unterzuordnen.“ (Zitat Ende)

Er selbst war, was das Schreiben anging, nicht gerade eine Koryphäe. Und das bereitete seiner Redaktion in den seltenen Fällen, in denen er wirklich einmal einen eigenen Text ablieferte, beim Redigieren dann richtig Schwierigkeiten. Probleme gab`s auch, wenn die Redakteure mit dem Chef Skat spielen sollten. Verlieren war nun mal nicht seine Sache. Alle wussten, dass er dann äußerst schlechte Laune bekam. Und um die gar nicht erst aufkommen zu lassen, musste er gewinnen. (Zitat) „Nach einem Sieg schwamm „Ecke“ auf einer Welle des Wohlgefühls. Es war dann auch leicht, eine Gehaltserhöhung anzuregen oder über eine kostspielige Dienstreise zu verhandeln.“ (Zitat Ende) Seinen Journalisten, von denen später eine ganze Reihe selbst Karriere gemacht hat, billigte er viele Freiheiten zu. Gelassen, oft auch amüsiert, sah er über persönliche Eigenheiten ebenso hinweg wie über kollektive Besäufnisse. Und auch den Metteuren in der Technik begegnete er unverkrampft. Wenn sie ihn dazu animierten, gab er lachend einen Kasten Bier aus.

Immer wieder aber hebt der Autor hervor, dass der umtriebige Verleger in erster Linie von dem Gedanken beseelt war, der Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen. (Zitat) „Die Bewältigung der Nazi-Zeit und ihrer Verbrechen – das war Eckensbergers ganz großes Thema. Ihn ärgerte zutiefst, dass die Gesellschaft in diesen ersten Nachkriegsjahren nicht in der Lage war, für das Grauen der Nachkriegszeit Verantwortung zu übernehmen. Ihn bekümmerten der latente Antisemitismus, die immer noch vorhandenen Sympathien für den Nationalsozialismus und das freche Auftreten von Naziverbrechern...“ (Zitat Ende)

Eckhard Schimpf schildert in seinem Artikel die machtvolle Karriere dieses politisch engagierten Mannes. Er zeigt seine Stärken und Schwächen auf, seinen Hang zum Luxus ebenso wie seinen unermüdlichen Einsatz für die Durchsetzung demokratischer Ideale. Und er schildert detailliert, wie er zwei Jahrzehnte lang das Leben der Menschen in der Stadt und der Region Braunschweig entscheidend mit geprägt hat.

Für diesen interessanten Artikel, in dem der Autor nicht nur eine eindrucksvolle Braunschweiger Persönlichkeit porträtiert, sondern eine fast vergessene Zeitungsära wieder aufleben lässt, hat die Jury Herrn Eckhard Schimpf den 2. Preis zuerkannt.

Damit sollte ich Schluss machen, möchte aber noch ein paar Worte hinzuzufügen. Denn den Rat des Dichters Wilhelm Raabe „ Sieh nach den Sternen, hab acht‘ auf die Gassen“ scheint auch der Preisträger befolgt zu haben. Ähnlich wie Hans Eckensberger hat Eckhard Schimpf selbst Geschichte geschrieben. Nicht nur im Braunschweiger Raum ist der Journalist bekannt wie ein bunter Hund. Er wird auch in der gesamten internationalen Motorwelt als erfahrener Berichterstatter geschätzt. Angefangen hatte alles mit der Reportage „Caracciola schult junge Rennfahrer“, die er als Schüler verfasst und die die BZ mit seinem vollen Namen abgedruckt hatte. Das war so recht nach dem Geschmack des jungen Mannes; er entschied sich, Journalist zu werden. Sein spontanes Vorsprechen bei Verleger Hans Eckensberger 1958 wegen eines Volontariats hatte Erfolg und mündete in einer steilen Karriere. Bis 2003 gehörte Eckhard Schimpf der Chefredaktion der Braunschweiger Zeitung an; seitdem ist er als freier Journalist tätig. Aus seiner Feder sind mehr als 1000 Reportagen und Kommentare hervorgegangen; er hat über 20 Bücher, darunter mehrere Bestseller, verfasst und schreibt regelmäßig über die bedeutenden Ereignisse der Motorbranche in internationalen Presseorganen. Denn obendrein war Schimpf ein begeisterter Rennfahrer, der an mehr als 350 Autorennen und Rallyes erfolgreich teilgenommen hat. Eine weitere Leidenschaft: seine Sammlung von pensionierten Rennwagen.

Journalist, Autor, Schriftsteller, Rennfahrer – und seit heute Preisträger der kleinen Göttinger Alexander-Stiftung. Wolfgang Alexander hätten beide Herren gefallen. Der Verleger und der Journalist.

Die Jury gratuliert Herrn Eckhard Schimpf sehr herzlich.

Ulla Borchard