Noch viel zu tun - Über den Stand der Erinnerungskultur am FKG

Laudatio von Sven Grünewald für Lina Rees, Lovis Pape, Adrian Schulz zum Schülerpreis

2015 02 07 Alexanderpreis 12Schülerpreise werden von der Alexanderstiftung leider nur selten vergeben, was meist mit den Schwierigkeiten der Kontinuität von Schülerzeitungen zusammenhängt, in denen sich junge Talente ausprobieren können. Daher freuen wir uns dieses Jahr außerordentlich, eine Gemeinschaftsleistung von Lina Rees, Lovis Pape und Adrian Schulz auszeichnen zu dürfen. Die Schüler des Felix-Klein-Gymnasiums haben in der „FKG-Times“ den Artikel „Noch viel zu tun – über den Stand der Erinnerungskultur am FKG“ geschrieben. Ein nach wie vor schwieriges Thema, wie sich zeigt.

Es geht um eine Gedenktafel im Foyer, die an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnert – und die aufgrund ihres unauffälligen Stils tagtäglich jenseits der Wahrnehmungsschwelle passiert wird. Nicht „Gier nach fremdem Land“ trieb die Gefallenen, sondern das Ziel, die heilige deutsche Erde gegen eine Welt voller Feinde zu schützen – das ist dort zu lesen; ein zweiter Gedächtnisort befindet sich neben der Aula, wo den gefallenen Wehrmachtssoldaten der Schule gedacht wurde – erst vor wenigen Jahren wurden die Fotografien mit den Uniformierten entfernt. Früher hing hier auch noch in einer Nische ein eisernes Kreuz. Wie schwierig der Bruch mit dem heroisierenden Gedenken war, zeigt eine Initiative von Geschichtslehrern in den 80er Jahren zur Umgestaltung der Gedenkecke. Der schulinterne Widerstand war so groß, dass als Minimalkonsens nur eine Ersetzung des Kreuzes durch eine Gedenktafel möglich war.
Und zuletzt wurde erst 2011 ein Gedenkort für die verfolgten und ermordeten Juden auf dem Schulhof errichtet, der zwischenzeitlich aber mangels Pflege sogar überwucherte.

Doch erstreckt sich die fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit auch auf die Schulchronik, die – ganz zeitgemäß im Netz abrufbar – seltsam blass bleibt, wenn es um die Zeit von 1933-45 geht.

Kleinigkeiten, möchte man vielleicht im ersten Augenblick meinen, doch zeigt das Beispiel FKG vor allem, in wie vielen unerwarteten Ecken und Nischen sich noch unreflektierte Relikte der deutschen Vergangenheit verbergen. Und wie schwierig selbst heute, 70 Jahre nach Kriegsende, nicht allein die Aufarbeitung der existierenden Gedenkkultur ist, sondern auch ihre Bewahrung. Zu diesem Fazit kommen auch die drei Autoren: „Es ist also noch ein langer Weg von der Einstellung zu kritischem Gedenken als Last hin zu einem mutigen, offenen Umgang mit der eigenen Vergangenheit.“

Ganz im Gegensatz dazu der Artikel, der Tacheles redet. Eine besondere Freude hat zudem der erfrischend lockere Schreibstil bereitet, der direkt mit dem verbalen Finger auf Probleme zeigt. Da ist etwa der Sarkasmus gleich zu Beginn, Zitat: „Es bröckelt in Sachen Gedenkkultur. Zumindest in Berlin: 80% der grauen Betonsteine des Denkmals für die ermordeten Juden (...) weisen Risse auf. Was für ein zukunftsfähiges, wünschenswertes Modell von Gedenkkultur, wenn man bedenkt, dass dieses Denkmal fast 30 Mio. Euro gekostet hat, während beispielsweise authentische KZ-Gedenkstätten mit weit weniger auskommen müssen.“

Und noch eine Kostprobe habe ich. Im Rahmen der Erstellung der Schulchronik wurden die aus dem Stadtarchiv ausgeliehenen Akten der Zeit von 33-45 von zuständigen Lehrer verbrannt, wie die Autoren schreiben. Das war in den 80er Jahren, Zitat: „Seine Schulgeschichte selbst stellt das FKG als einen Hort des Widerstands gegen den Nationalsozialismus dar, was ‚natürlich Blödsinn ist’“, wie Geschichtslehrer Sven Tolksdorff zitiert wird. In akribischer Arbeit konnte der Aktenverlust zwar rekonstruiert werden, jedoch, Zitat: „Im Gegensatz zu dieser Aufarbeitung aus Eigeninitiative finden sich in unserer Schulchronik auf unserer Homepage kaum Bezüge zur Zeit unterm Hakenkreuz.“ Ein Umstand, den die Autoren ausdrücklich bedauern und damit auch ein lattenstrammer Schuss vors Tor der Schulleitung.

Gemeinhin gilt: Je älter und etablierter jemand ist, desto mehr Abhängigkeiten bestehen. Folglich fällt auch die Kritik immer diplomatischer, verhaltener – oder eben komplett aus. Man weiß ja nie, wozu man den zu Kritisierenden später noch einmal braucht und daher besser nichts riskieren.  Der frische Wind, den es von Zeit zu Zeit braucht, um alte, verkrustete Strukturen sehr grundsätzlich zu hinterfragen und damit etwas Neues zu wagen – dieser kann eigentlich nur von der unabhängigen Jugend kommen, den Idealisten, so weit es sie noch an den Hochschulen gibt – oder eben den Schulen. Lina Rees, Lovis Pape und Adrian Schulz haben das in beeindruckend deutlichen Worten getan und dazu möchte ich Ihnen persönlich danke sagen. Es war ein ausgesprochenes Lesevergnügen.

Alles Gute für euch und weiter so.