Verdrängt - Verfolgt - Vergessen: Das Judenhaus Weender Landstraße 26 und seine BewohnerInnen

Laudatio von Wolfgang Just zum 1. Preis an Eric Angermann, Eva Klay, Julia Kopp, Jan C. Oestreich, Jennifer Stümpel und Tobias Trutz

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist mir eine Ehre, wenn ich heute im Auftrag der Jury und als Mitglied derselben, zu dem vorliegenden Beitrag zu Ihnen spreche. Und ich sage ausdrücklich : Danke, dass ich das hier und heute tun darf.
Der Beitrag hat mich ganz persönlich auf zweifache Weise besonders angesprochen.
Zum Einen erfüllt er die Voraussetzungen für einen ersten Preis der Alexanderstiftung in hohem Maße -das war einhellige Jurymeinung-!
Es handelt sich bei dem eingereichten Text um eine gut lesbare journalistische Arbeit die sich mit der Vergangenheit unserer Stadt beschäftigt. Sie ist in dem vorgegebenen Zeitrahmen erschienen und hält den festgelegten Umfang ein. Darüber hinaus ist sie interessant illustriert und umfangreich und professionell recherchiert.


Zum Anderen sprach mich persönlich der Text mit seinem Appell an:

„Das dürfen wir nicht vergessen!“ „Das darf nie wieder passieren!“

Ich, Wolfgang Just, Jahrgang 1951,auch noch am 30. Januar geboren, also 6 Jahre nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges, Göttinger mit Leib und Seele, habe in meinem Leben viele große und kleine Fragezeichen zu den unsäglichen 12 Jahren unserer deutschen Geschichte gehabt und habe sie noch. Viele Fragezeichen haben sich aufgelöst, manche sind geblieben.
Bevor ich Ihnen kurz meine Begegnungen mit dem Haus Weender Landstraße 26 schildere, im zweiten Teil meiner Ausführungen gebe ich Ihnen gern eine Kurzform des eingereichten Textes, habe ich Ihnen einige Zeilen des großen Philosophen Martin Buber mitgebracht:
Die Zeilen erreichten mich im Zusammenhang mit einer sehr herzlichen Einladung eines Freundes
und zeigen seinen , aber auch meinen, Versuch mit der Geschichte von Menschen umzugehen.

Das Nachdenken über die Geschichte derer, die vor uns lebten, ist mir wichtig.
Dabei erfahre ich, dass das Leben der Menschen auf dieser Erde immer begleitet gewesen ist von Glück und Leid, Hoffnung und Angst, Gelingen und Misserfolg,
Neubeginn und Ausweglosigkeit.

Das Haus Weender Landstraße 26 kenne ich noch aus Jugendtagen. Mein Großvater war Tischlermeister mit einer Tischlerei mit Ladengeschäft schräg gegenüber neben dem Hotel zum Schwan. Er ist täglich an dem „Judenhaus“ vorbeigegangen. Das war sein Weg zur Arbeit vom Stegemühlenweg . Was er wohl damals gedacht hat? Ich konnte ihn leider nicht fragen. Er ist 1945 früh verstorben. Ich aber kannte durch meine Besuche in der Tischlerei die stattlichen Häuser gegenüber. Ich hab nie verstanden, warum ein Haus abgerissen wurde und ein Haus stehen bleiben konnte. Aber damals in den 60igern wurden in Göttingen viele Häuser abgerissen die besser stehen geblieben wären.
Mein nächster Kontakt zur Weender Landstr. 26 war 2014. Als historisch interessierter Göttinger und Mitarbeiter einer engagierten Werbeagentur durfte ich an der Festschrift der Gauß –Weber-Loge mitarbeiten. Ich hatte in den Vorjahren bei einigen Firmenfestschriften mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsgeschichte in der Stadt Göttingen mitgewirkt.
In dieser Festschrift wurde auch über das Schicksal jüdischer Mitglieder der Loge berichtet.
Der bekannte Kaufmann Richard Gräfenberg – der spätere Vorsitzende der Jüdische Gemeinde – wurde in der Festschrift mit seinem Engagement gewürdigt. Natürlich wurde auch über die schweren Zeiten der Selbstauflösung der Loge 1933/1934 berichtet. Der Neuanfang nach 1945 und der Rückerwerb des Logenhauses in der Weender Landstr. hat naturgemäß seinen besonderen Platz in der Chronik.

Doch nun wieder zurück zu unserem Preisträgertext:
Die beste Zusammenfassung finden wir auf einer Gedächtnisstele die am 6. November 2016 in der Weender Landstraße an Ort und Stelle enthüllt wurde. Das Göttinger Tageblatt berichtete und stellte das Engagement der Initiatoren heraus.

Hier der Stelen-Text:

Hier stand ein Gebäude, das 1891 von der Gauß-Weber-Loge erbaut und bis zu ihrer unter dem NS-Regime erzwungenen Selbstauflösung genutzt wurde. 1934 erwarb es die Jüdische Gemeinde,
da sie angesichts zunehmender Diskriminierung keine Räume für ihre Veranstaltungen anmieten konnte.
Ab 1940 vertrieb die Gestapo, unterstützt von der Göttinger Stadtverwaltung, Menschen jüdischer Herkunft aus ihren Wohnungen und wies sie in sogenannte „Judenhäuser“ ein.
Allein hier mussten 42 Menschen ohne Privatsphäre und unter schwierigen Versorgungsbedingungen leben.
1942 wurde die Mehrzahl der Bewohnerinnen und Bewohner in das Warschauer Ghetto, nach Theresienstadt, Auschwitz und an weitere Orte der Vernichtung deportiert.
Kaum jemand überlebte.
Nach dem Krieg fand sich die Stadt Göttingen erst nach langen Verhandlungen bereit, das Haus zurückzugeben. Ein Rechtsstreit zwischen Stadt, Jüdischer Gemeinde und Gauß-Weber-Loge endete mit einem Vergleich und dem Erwerb des Hauses durch die Loge.
Bis zum Jahr 1968 war das Gebäude abgerissen. Damit verschwand ein sichtbares Zeichen für die Verdrängung und Verfolgung Göttinger Bürgerinnen und Bürger jüdischer Herkunft.
An sie und ihr Leiden sei hier erinnert.
Shamor w'Sachor
Bewahre und Erinnere.

Die Namen der Bewohnerinnen und Bewohner sind auf der Stele genannt und sind für uns eine ewige Mahnung.